Johann Valentin Rathgeber muss als Phänomen der europäischen Musikgeschichte angesehen werden. Mit seinem Kompositionsstil befindet er sich an der Schwelle zum so genannten „galanten Stil“ und zählt zu den Komponisten, die bereits in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts den Stilbruch zwischen Barock und Klassik vorbereitet haben. Dieser Stilumbruch wurde im Norden maßgeblich von Georg Philipp Telemann, im katholischen Süden in erster Linie von Rathgeber getragen. Und auch in anderer Hinsicht muss Rathgeber, der 1682 in Oberelsbach geboren wurde, als Phänomen gesehen werden: schrieb dieser Benediktinermönch doch nicht nur ernste Kirchenmusikliteratur, sondern tat sich darüber hinaus auch als Autor zahlreicher lustiger, ironischer und oft auch zeitkritischer Lieder heraus, die leicht ins Ohr gehen und dennoch den Zuhörer mit oft verspielten Passagen überraschen. Den meisten Musikliebhabern dürfte Rathgeber durch sein „Ohrenvergnügendes und Gemüthergözendes Tafelconfect“ bekannt sein, das aufgrund seines Verlagsortes – nota bene wurde Rathgebers Werk, der ja katholischer Benediktinermönch war im protestantischen Verlagshaus Johann Jakob Lotter veröffentlicht – auch als „Augsburger Tafelkonfekt“ bezeichnet wird, bekannt sein. Doch dies ist nur eine Facette seines Schaffens. Oftmals wird in den Konzerten leider nur vom Tafelkonfekt genascht, während die Hauptspeise – die kirchliche Musikliteratur aus seiner Feder – oft beiseitegelassen wird.
Aus diesem Grund war das Konzert unter dem „Alleweil ein wenig lustig“, das am Ostermontag in der Alten Aula in Münnerstadt gegeben wurde, etwas ganz besonderes. Den Besuchern wurde ein ganz besonderer Ohrenschmaus kredenzt, bei dem nicht nur das Konfekt, sondern auch die Hauptspeise gereicht wurde, so dass es ein rundum gelungenes musikalisches Mahl wurde.
Den Beginn machte man mit dem Concerto 8 aus Opus VI. Nachdenklich-sehnsuchtsvolle Passagen wechselten mit durchaus fröhlichen Anklängen ab. Ein sehr schöner Einstieg, der Lust auf mehr machte. Aber auch ein Stück, an dem sich zahlreiche Charakteristika vom Kompositionsstil Rathgebers zeigten: einerseits nachdenklich – was gut zu seiner von ihm komponierten Kirchenmusik passt – andererseits die Lebensfreude des Protagonisten, aber auch der ganzen Epoche des Barock ausdrückend, der auch heitere und lebensbejahende Stücke en masse in seinem Repertoire hat. Das Wetter meinte es mit den Musikern und den Zuhörern gut: pünktlich zum Konzert gab sie sich ein Stelldichein und erleuchtete die Alte Aula.
Doch nicht nur Musik wurde auf sehr hohem Niveau geboten: auch über das Leben Rathgebers wurde in den Zwischenpassagen immer wieder erzählt. Diesen Part hatte Christel Keß übernommen, die selbst aus Oberelsbach, dem Geburtsort Rathgebers stammt. Mit dem Lied „Vom April-gehen“ entführten Susanne Handwerker am Sopran und Berhold Gaß am Klavier die Zuhörer in den bevorstehenden Frühling. Dass Rathgeber Sinn für feine Ironie hat und durchaus auch die Unsitten seiner Umgebung zu geißeln verstand, zeigte das Quodlibeticum „Der große Prahler“. Mit viel Spott wusste er die Untugenden solcher Zeitgenossen, deren Typus leider die Zeiten überlebt hat, zu verspotten.
Die Schlagarien 2 und 3 aus dem Opusculum XXII, die meisterhaft von Berthold Gaß interpretiert wurden, können als typisch für den Rathgeber-Stil gelten: die Kompositionsweise ist klar und zielgerichtet und somit einerseits leicht eingängig. Andererseits lässt es der Komponist es sich nicht nehmen, Raum für verspielte Passagen einzubauen, die die Grundmelodik positiv bereichern.
Ein „gefährliches Lied“ stand dann mit dem „Von Erschaffung Adam und Eva“ auf dem Programm. Seinerzeit war das Stück zensiert worden. Den Zuhörern in der Alten Aula führte es aber vor Augen, dass Rathgeber ein nicht zu strenger Kirchenmann gewesen ist, sondern bei ihm immer wieder der Sinn für Humor durchblitzt. Eine Freude war es außerdem zu sehen und zu hören, wie gut Gaß am Klavier und Handwerker als Sopranisten harmonierten.
Nach der Pause stand dann unter anderem das Concerto 7 aus dem Opus VI auf dem Programm. Berthold Gaß (Klavier), Carola Kroczek und Reinhard Wilimsky (Violine) sowie Erik Wiesner (Cello) gaben dieses interessante Stück Rathgebers zum Besten. Weitere Weisen folgten und als die Sängerin – natürlich nur gespielt – sich zu singen weigerte, musste das Publikum einspringen und selbst dafür sorgen, dass es mit dem „Alleweil ein wenig lustig“ weiterging. Die Zuhörer zeigten sich als erstaunlich textsicher. Doch was Berthold Gaß sich da für das Publikum hatte einfallen lassen, zeigte auch eines sehr deutlich: leicht eingängig sind die Singstücke Rathgebers auf jeden Fall. Aber sie bieten auch einen besonderen Reiz, die Stück wieder und wieder zu singen. Nach dem Konzert ging mehr als einer noch die Weisen Rathgebers summend aus dem Saal hinaus. Natürlich nicht, bevor man sehr großen Applaus gespendet hatte und dafür von Musikerseite aus mit einer Zugabe belohnt worden war.
Das Konzert war äußerst gelungen. Die Musiker, allesamt Laien – von der Angestellten über den Architekten bis hin zum Gymnasiallehrer und zum Regierungsrat im Innenministerium – brillierten mit ihrem Spiel und faszinierten so das Publikum. Besonders muss die Leistung von Susanne Handwerker als Sopranistin gelobt werden. Ihr gelang es, mit ihrer sympathischen Art die Zuschauer zu verzaubern und mit ihrer schönen und klaren Stimme die Werke Rathgebers in einer solchen Weise zu interpretieren, dass dieser stolz gewesen wäre. Man merkte allen Musikern und der Sängerin an, dass sie vom Werk Rathgebers begeistert sind, was sich auch in ihrer Spielweise zeigte.
Nach rund zwei Stunden reiner Konzertzeit wurden die rund 75 Zuhörer aus der Alten Aula entlassen. Der Festschmaus aus Hauptmahl und Konfekt hatte jedem gemundet, wie sich auch am Applaus zeigte. Das Team vom Kultourismus im Schloss, das den Abend organisierte und in der Pause für das leibliche Wohl der Gäste verantwortlich zeichnete, hatte ebenfalls hervorragende Arbeit geleistet und mit dafür gesorgt, dass der Abend etwas ganz besonderes wurde.
Wer das Werk Johann Valentin Rathgebers einmal selbst hören will, der hat hierzu die Gelegenheit: Am Sonntag, den 12. Mai wird um 18.30 Uhr in der Klosterkirche St. Michael in Münnerstadt eine Barockvesper gegeben. Unter der Leitung von Martha Berger werden Psalmen, Hymnen und vieles weitere aus der Feder Rathgebers gesungen.
Wer mehr über Johann Valentin Rathgeber wissen will, der hat dazu im Henneberg-Museum in Münnerstadt Gelegenheit. Die Wanderausstellung „Johann Valentin Rathgeber (1682-1750) – Leben – Werk – Bedeutung“ entführt in die Welt des großen Komponisten. Dort kann man das umfangreiche Schaffen und Leben Rathgebers hautnah erkunden und auch weitere Stücke hören, die seinen Werken entnommen sind. Bis zum 23. Mai kann die Ausstellung von Dienstag bis Sonntag (10 – 17 Uhr) besucht werden.
(Björn Hein M.A.)